Kreisende Geräusche, flüsternde Töne, ein leises Knistern, eine beruhigende Stimme – viele von uns haben das vielleicht schon einmal erlebt, wir nehmen akustische Signale wahr und plötzlich stellt sich eine wohlige Wärme in uns ein, eine entspannende Ruhe überkommt uns.
Dieses Phänomen wurde in den letzten Jahren intensiv untersucht und schlägt mittlerweile hohe Wellen, denn es zeigte sich, dass hier zentralnervöse emotionale Regungen ausgelöst werden, die sogar eine Schmerz- und Stressor Befreiung bewirken.
Hinter alledem steckt ASMR, Autonomous Sensory Meridian Response, das „selbständige sensorische Meridian Antworten“, wenn man es wortwörtlich übersetzt. Wir können also gar nicht anders. Es werden ganz bestimmte Gehirnareale angesprochen und unser Körper reagiert automatisiert. Alles ist leicht, fühlt sich warm und gut an, vertraut und friedvoll – „a flow-like mental state“, so beschrieb es die Neurobiologin Emma Barrat sehr treffend.
Der ASMR Psychotherapeut und Neurobiologe Nick Davis sieht ganz klar eine Beteiligung von Endorphinen, Dopamin und Oxytocin. Endorphine induzieren Relaxation, sie erzeugen Schlafes Ruhe und in einer besonderen Weise ein Wohlgefühl im Sinne eines reduzierten Schmerzempfindens. Dopamin, so sagt Nick Davis, ist der Stimulus für Lust, für Fokus, das ist der Inbegriff für unsere Konzentration. Und das Geräusch setzt uns unter Oxytocin, das Liebes- und Kuschelhormon, das uns in der sozialen Bindung ganz besonders anleitet und betreut.
Fasst man dies alles zusammen, so ist es nicht verwunderlich, dass hier ganz offiziell vom „Gehirnorgasmus“ gesprochen wird. Wenn jemand ein besonderes Geräusch einspielt, flüstert, mit einer tiefen, beruhigenden Stimme auf uns einwirkt, entwickeln wir so etwas, wie eine Gänsehaut in der Region hinter dem Ohr und am Kiefergelenk. Doch wir müssen uns von dem Begriff „Gänsehaut“ lösen, denn dieses Kribbeln auf der Kopfhaut, diese Hautspannung entlang des Nackens wird fachsprachlich als „Tingles“ bezeichnet. Ein beinahe unscheinbarer Terminus für etwas sehr Wirkungsvolles.
Die Hintergründe zu ASMR reichen weit zurück, bis zu den Zeiten, als wir Menschenaffen uns einer gegenseitigen Körperpflege unterzogen haben. Da saßen wir nebeneinander und kraulten uns den Pelz, streichelten uns oder entnahmen Parasiten in der Behaarung des Gegenübers. Und diese Gesten machten raschelnde, knisternde Geräusche. Man hatte den Eindruck, dass sich jemand um unsere Gesundheit bemüht. Man konnte hören, dass man geliebt wird.
Der Vorgang des sich gegenseitig Pflegens, das ist ein sozialintelligenter. Das bedeutet ein Stärken der Gruppe, der Herde. Das ist ein Grenzen austesten. Da werden neue Beziehungen generiert, womöglich sogar die Partnerin / der Partner fürs Leben gefunden. Der Verhaltensbiologe David Huron prägte für diese Form der Fell- und Körperpflege in der heutigen Zeit den Begriff „Grooming“ und geht so weit, zu sagen, dass Grooming „euphorischen Lustgewinn“ mit dem evolutionsbiologischen Vorteil der Hautgesundheit generiert.
Wir können diese Gefühle also heute noch aufrufen, weil wir noch immer in der Lage sind, „Tingles“ wahrzunehmen. Und Geräusche durch cutane Reibung, z. B. das Streichen der Handinnenflächen, oder eben das Ausstreichen von Behaarung, versetzen uns genau in diesen Zustand, sie sind ASMR-Trigger. Diese Sinneseindrücke sind imstande, weitere Sinnesgefühle zu generieren. Plötzlich ist eine Farbe warm oder eine Melodie wirkt kühl. Wir nennen diese Verschaltung der Sinne, das Phänomen der Synästhesie. Unser Gehirn bringt sich geradezu in Hochkonzentration, in einen meditativen Zustand.
Heute gehen viele Fachleute davon aus, dass dies auch ein wesentlicher Aspekt für die Wirksamkeit der klinischen Konzept-Akupunktur ist. Ein Dermalgefühl, leise Geräusche, eine ruhige Stimme, gepaart mit verschiedenen Meridianpunkten, die bedient werden, das tut uns gut. Das fördert unsere Systemgesundheit auf einer ganz neuen Ebene. Ein ganzheitlicher Ansatz, der uns seit tausenden von Jahren zu einem neuen Gleichgewicht verhilft. Und dies ließ sich auch bereits nachweisen.
In Untersuchungen wurde interessanterweise festgestellt, dass bei Patienten nach einer Akupunkturbehandlung und nach einem Grooming die Herzfrequenzrate signifikant sinkt, während parallel die Hautleitfähigkeit erhöht wird. Man könnte also sagen, die Haut reckt sich regelrecht der Akupunkturnadel entgegen, oder im Falle des Groomings, dem externen Einfluss, um dem Organismus zu neuer Gesundheit zu verhelfen.
Und es lassen sich noch weitere Parallelen zwischen der Akupunktur und dem Phänomen ASMR finden. So wird in beiden Fällen derselbe Gehirnabschnitt angesprochen, das Mesencephalon, genauer gesagt das Areal der Lamina quadrigemina. In der Vierhügelplatte des Mittelhirns wird Gehörtes und Gesehenes miteinander vernetzt, hier entstehen Synästhesien, dort werden Sinneseindrücke wie rascheln, knistern, ein Gefühl auf der Haut verarbeitet und verschaltet. Auch eine Hautmaßnahme wird genau hier beantwortet.
Neben der Lamina quadrigemina reagieren außerdem noch das Tegmentum mesencephali und das Tectum mesencephali. Und es gibt nur einen einzigen Moment, in dem alle drei Areale des Mittelhirns aktiv sind – der Moment der Synästhesie. Und diesen Moment kann man beweisen in zwei verschiedenen Anwendungen: einem ASMR-Geschehen und einer klinischen Konzeptakupunktur.
Vielleicht denken wir an diese spektakulären Zusammenhänge, wenn wir das nächste Mal beim Zerdrücken einer Luftkissenfolie in ein geradezu euphorisches, nicht enden wollendes Wohlgefühl verfallen. Na, brizzelt es womöglich ganz leicht hinterm Ohr, oder im Nacken? 😉
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